Preisrede von Ruth Beckermann zum Axel Corti-Preis 2024

26.06.2024 | EB in Österreich

Ruth Beckermanns über ihr Werk und Axel Corti anlässlich der Preisverleihung am 25. Juni 2024 im Radiokulturhaus. (Im Bild: Cecily Corti und Ruth Beckermann in Radiokulturhaus. Foto: John Evers)

Liebenswürdige Anwesende,

Ich sage es gleich: Ich habe mich sehr gefreut, als John Evers mich anrief und mir von der Entscheidung der Jury erzählte, mir den Axel Corti Preis zu verleihen. Übrigens ein Preis, von dem ich zu meiner Schande noch nie gehört hatte, was mich aber dazu brachte, ein wenig über Preise an sich nachzudenken.

Es gibt Preise und Preise. Da sind die Preise, die von einer - manchmal sogar kompetenten - Jury für den einen, meist den neuen, Film vergeben werden, den sie gesehen, geliebt und besprochen hat. Diese Preise machen insofern Sinn, als sie das Interesse des oberflächlichen, daher an Preisen interessierten Publikums und der dieses an Oberflächlichkeit weit übertreffenden Presse steigern. Und sie erfreuen die Filmemacherin, wobei sich die Freude mit der Höhe des Preisgeldes merklich steigert. Ja, auch Filmemacherinnen brauchen und mögen Geld.

Und dann sind da die anderen, diejenigen Preise, die ich die allgemeinen nennen mag. Preise vom Staat, von der Stadt, von Ihnen, der Jury des Axel Corti Preises, die sich auf ein sog. Werk beziehen und weil man ein Werk ja erstmal schaffen muss, also auf mehr zurückblickt als der Blick in die Zukunft noch erwarten lässt, haben diese Preise einen Anflug von Melancholie.
Ich bin noch nicht reich an solchen allgemeinen Preisen, wobei man reich an Ihnen auch nicht wird, da sie seltsamerweise meistens geldlos ausfallen, wobei ich nicht insinuieren möchte, dass sie deswegen wertlos sind.
Vom Staat wurde ich mit einem Preis golden bekreuzigt, von der Stadt kam bisher nix, was aber nicht heißt, dass nicht noch was kommen wird. Ein Kreuz, zumindest im Wappen, ist wohl dabei und geldlos kann er ruhig wieder sein. Das bin ich ja mittlerer weile gewöhnt.

Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass Frauen diese allgemeinen Preise, obwohl sie geldlos sind, mindestens zehn Jahre später erhalten als ihre männlichen Kollegen? Ist Ihnen aufgefallen, dass auch die weiblichen runden Geburtstage erst ab frühestens 80 öffentlich gefeiert werden? Zum Beispiel haben in diesem Jahr einige liebe und berühmte Freunde einen Runden. Da geht’s ab, da wird getönt, gefilmt und geinterviewt, was das Zeug hält.

Bei mir war nix, was ich mir natürlich mit meinem jugendlichen Aussehen und meiner frechen jugendlichen Unverschämtheit erklärte. Im Ernst ist es aber so: Männer feiern andere Männer. Schriftsteller feiern Schriftsteller-Kollegen und Filmemacher Filmemacher-Kollegen, obwohl sie denen nichts zum Feiern wünschen, sondern sie als beinharte Konkurrenten empfinden. Sie feiern einander, weil sie aus jahrhundertealter Erfahrung wissen, dass eine Hand die andere wäscht und jeder Preisträger den nächsten vorschlägt.
Soweit so banal.

Aber auch Frauen feiern vor allem Männer. Und das fällt ihnen, den Frauen,  gar nicht auf. Sie tun es - von der lieben Ehefrau, die dem Gatten das Geburtstagsfest ausrichtet, was ihm umgekehrt nie einfallen würde, und falls doch, er sich so lange hilflos anstellen würde, bis ihm ein rein weibliches Komitee freudig zur Seite springt. Noch immer tun Frauen das, was sie aus jahrhundertealter Erfahrung kennen und können: Für IHN kochen, für IHN bügeln, für IHN die Buchhaltung machen, IHN feiern.

Ich bekomme nun einen Preis, hier, in diesem wunderbaren Saal in dem ehemaligen Funkhaus, für dessen Erhalt wir einen unserer vielen erfolglosen Kämpfe geführt haben. Am Restbestand eines Ortes, oder nobler ausgedrückt am Denkmal für einen Ort, der nur noch in der Erinnerung derjenigen, die ihn gekannt haben, lebt. Dass es diesen Ort, dieses Funkhaus nicht mehr gibt, ist der von Generation zu Generation fortgesetzten Schwachsinnigkeit dieses Staates Österreich geschuldet, der noch immer meint, was jünger als 200 Jahre ist, sei nicht erhaltenswert. Kein Wunder, also, dass keine nach 1800 entstandene Kunstform im österreichischen Kunstsenat vertreten ist. Man überlege die Aufnahme der Fotografie, heißt es seit Neuestem. Wenn das in diesem Tempo weiter geht, kommt der Film, die Kunstform des 20.Jahrhunderts frühestens im Jahr 2100 dran. Blöd für mich, denn das ist ein hochdotierter Preis, doch wäre ich mindestens 150 Jahre alt, wenn er vielleicht auch für Filmkunst vergeben wird.

Radio gilt ja nix. Das Funkhaus, dieses Zeugnis der Moderne, wurde verscherbelt. Kriegerdenkmäler werden erhalten, aber die will e keiner kaufen.

Mein Film Die Geträumten hilft der Erinnerung an diesen Ort von Zeit zu Zeit vielleicht ein wenig auf die Sprünge.
Ich habe hier gedreht, weil Radio für die beiden großen Dichter der 2. Hälfte des 20.Jahrhunderts, für Ingeborg Bachmann und Paul Celan, ein besonders wichtiges Medium war. Für das Radio haben sie gearbeitet, das Radio hat ihre Texte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es war nicht meine vorrangige Absicht, einen Film speziell über den Ort Funkhaus zu drehen. Aber es ist so: Alles ist in dem Moment, in dem es gefilmt ist, bereits Vergangenheit. Film sieht dem Sterben und Vergehen zu. Und nicht allein der Dokumentarfilm. Jeder Spielfilm ist ein Dokument über das Aussehen der Schauspieler in einem Jahr ihres Lebens, über die Kleidung, die Architektur und das Design einer bereits vergangenen Zeit.

Ich freue mich über diesen Preis. Weil ich Radio liebe.
Ich freue mich von Herzen über diesen Preis, weil er mit Axel Corti verbunden ist.

Axel Corti hat mit einem Film zu meiner Politisierung in diesem Land beigetragen: Das war der Fall Jägerstätter von 1971 über einen Tiroler Pfarrer, der seinen Widerstand gegen ein ungerechtes Regime , die Nazis, auch im Angesicht des Todes  aufrecht hielt. Ich sah den Film einige Jahre nach seiner Entstehung, nämlich im Arenajahr und er trug dazu bei, dass ich mich entschloss in Österreich zu bleiben, den filmladen mit zu gründen und gegen so manche Ungerechtigkeit aufzutreten. Selbstverständlich nahmen wir den Fall Jägerstätter in unseren filmladen Verleihkatalog auf.

Doch es war ein anderer Film von Axel Corti, der etwa 15 Jahre später kam und der wie kein anderer österreichischer Film das Lebensgefühl meiner Kindheit in diesem Land wieder spiegelte. Es war der Film Welcome in Vienna, der dritte Teil der Trilogie Wohin und Zurück, der die Erinnerung an die Scham und die Wut meiner frühen Jahre schmerzhaft hervorrief.

Sie erinnern sich: Der Film handelt von einem jüdischen Emigranten, der in amerikanischer Uniform als Besatzungssoldat in die Stadt seiner Geburt, nach Wien zurückkommt.  Es ist das Wien der immer noch und immer wieder-Nazis, der Heuchler, der Opportunisten und der Schleimer. Wien halt. Wien, wo der ehrlichste Mensch ein Schwarzmarkthändler ist, nein kein jüdischer, sondern ein echter Wiener Batzi, der sich keine Illusionen über seine ehemaligen Volksgenossen macht und daher dem jungen Freddy davon abrät, hier zu bleiben, wenn er seine Respekt einflößende Uniform mal ausgezogen hat.
Wie oft hat mein Vater, er war Boxer in seiner Jugend und Soldat in der Roten Armee, einem Wiener, der ihn Saujud schimpfte, in die Goschn gehaut, wie oft hat meine Mutter mir dringend geraten, woanders mein Leben zu leben. Ich habe ihren Rat ebenso wenig befolgt wie Freddy, der am Schluss des Films ohne Uniform, in Wintermantel und Haube am Wiener Eislaufplatz das wahre Gesicht der Kulturmenschen hier kennen lernt. Ja, damals erkannten die Wiener noch einen Juden, das hat sich durch die  vielfältige Migration geändert, man hat jetzt eine Auswahl an Menschen, die man mit Schimpfwörtern bedenken kann und zwar in alle Richtungen.

Das Drehbuch zu diesem Film, das muss dringend gesagt werden, hat Stefan Georg Troller geschrieben. Er hatte all das erlebt: Den Rauswurf, die Emigration und die Wiederkehr, bevor er sich entschloss, in Paris zu leben und für deutsche Sender zu arbeiten.
George ist der beste Interviewer, den ich kenne, ich durfte ihn vor vielen Jahren zu einem Workshop an der Universität einladen und einen ganzen Tag lang seine Arbeitsweise beobachten. Damals verstand ich, wie die eigene Lebenserfahrung verbunden mit unendlicher Neugier zu so hervorragenden Ergebnissen führen kann wie in seinen Fernsehfilmen. Als ich George vor einer Woche anrief, um ihm von dem Preis zu erzählen, hob er – inzwischen 102 ½  Jahre alt- fröhlich ab und erzählte mir, dass er, als er sein Pariser Büro aufgab, seine vielen Preise in einen Karton packte, um sie später abzuholen. Als er am nächsten Tag ankam, fand er keinen Karton, doch eine Putzfrau, die sagte, das hässliche Zeug habe sie der Müllabfuhr mitgegeben.

So unterschiedlich ihre Biografien auch waren, Georg Stefan Troller und Axel Corti waren beide Europäer und Humanisten.

Welcome in Vienna kam 1987 in die Kinos. Befördert durch die Waldheim-Affäre erlangte er internationale Aufmerksamkeit. Ich bin ihm oft begegnet, weil mein Film Die papierene Brücke sich gleichzeitig im Festivalzirkus drehte. Weil Die papierene Brücke der Verfasstheit der nächsten, der sog. zweiten Generation nach der Schoah nachspürte, wurde auch oft als Fortsetzung von Troller/Corti programmiert.

Die Waldheim-Affäre trieb mich mit der Kamera auf die Straße. Axel Corti machte sie zur öffentlichen Figur. Die Radiostimme erhob die Stimme gegen dieses „sich selber Verzeihen bevor ein anderer einem verziehen hat“.

Woran sich wohl jeder Radiohörer erinnert, ist Axel Cortis Stimme, die jede Woche ca. zehn Minuten lang erklang und einen Essay vortrug. Es war, ich wage es kaum zu sagen, weil es so wenig in unsere Zeit der schnarrenden Stimmen passt, es war eine zärtliche Stimme. Eine Stimme, die oftmals wichtiger für die Zuhörerin war als das Gesagte. Nicht weil dieses unwichtig gewesen wäre, sondern weil die Stimme sie mitnahm, aus dem alltäglichen Kram oder den wichtigen Gedanken heraushob und ein wenig träumen ließ. Und sie oft ratlos zurückließ.

Die Stimme erheben und doch Ratlosigkeit und Zerrissenheit zulassen.

Schalldämpfer sein auf das Getöse aus allen Winkeln, aus den kleinsten Geräten, bereits bei den Kleinsten, gleich nach der Geburt schnelle Bilder und Geschrei, um sie ruhig zu stellen, damit die Eltern auf ihren großen und kleinen Bildschirmen anderem Geschrei folgen können, ja selbst ihre Meinung, ihren Hass, ihr Geschwurbel beisteuern können. Und schon folgt eine Antwort von einem anderen, poppt auf und verlangt wieder einen kurzen Schrei, um dazu zu gehören.

In einem seiner Schalldämpfer sagt Axel Corti, er wolle bloß nicht dazu gehören, denn Überzeugungen könnten in schlechtere Gesellschaft führen als Laster.
Mit diesem heute so aktuellen Satz - Überzeugungen können in schlechtere Gesellschaft führen als Laster - möchte ich enden.

Danke.